Über die Rolle der Kirche während der Pandemie und des Lockdowns für Ungeimpfte

Die Kirche hat während der vergangenen Pandemiezeit in mehrfacher Hinsicht ein sehr anachronistisches Auftreten gezeigt. Drei Punkte seien hervorgehoben:

1. Dass Sanitäts- und Hygienebestimmungen von der Kanzel herab verkündet werden, ist ein Merkmal des josephinischen Staatskirchentums aufgeklärt-absolutistischer Prägung. Vielfach haben sich die Kirche und ihre Funktionäre vor den staatlichen Karren spannen lassen, sind gleich mit der Medienkarawane (das Wort ist u.a. auch eine Prägung von Peter Pilz) aufgebrochen und haben sich dort niedergelassen, wo es etwas zu holen gibt. Diese Gleichschaltung hat sie offenkundig auch noch genossen. Es bleibt kritisch zu fragen, ob das ihre Aufgabe ist.

2. Auf medialem Weg und auch in der politischen Rhetorik war Übergriffigkeit auf Selbstbestimmung und körperliche Integrität nahezu unhinterfragt üblich geworden. In diese entgleisende und Grenzen überschreitende Rhetorik haben sich, wenn auch abgemildert, aber doch mit sozialem Druck und dem Argument von Solidarität und Nächstenliebe arbeitend, viele Predigten und auch öffentliche bischöfliche Äußerungen eingeschrieben. In Zeiten, in denen die Kirche aufgrund von Übergriffen auf die körperliche und geistliche Integrität von Menschen von sich reden macht und sie ihre lange beanspruchte Deutungshoheit über den menschlichen Leib ohnehin schon lange verloren hat, steht es ihr schlecht an, diesen Kampfplatz wieder zu betreten. Es bleibt auch hier kritisch zu fragen, ob das ihre Aufgabe ist.

3. Die Zeiten der Höllenpredigten seien vorbei, sagt man. Nicht nur erstaunte, eigentlich kirchlich empfindende Gläubige, sondern auch überraschte Beobachter von nicht-kirchlicher Seite, etwa Philosophen und Soziologen und sogar einige Medienleute haben wahrgenommen, dass die Kirche ihre eigentliche und ureigene Aufgabe nicht wahrzunehmen imstande sei. Sie hat den „Höllenpredigten“ der politisch gewollten und mit starker medialer Schützenhilfe orchestrierten Angstmacherei nichts entgegenzusetzen gewusst. Oder hat sie das auch gar nicht gewollt? Es bleibt auch hier kritisch zu fragen, ob es Aufgabe der Kirche ist, politischen Höllenpredigten und ihrer schwarzen Pädagogik zu sekundieren.

Was wohl das Erschütterndste ist: Gemäß oft betontem zeitgenössischem kirchlichem Selbstverständnis sei es doch prioritär, sich gegen Diskriminierung aller Art zu stellen. Hat die Kirche das durchgehalten? Erhebt sie die Stimme für Diskriminierte oder tut sie das nur dort, wo es opportun ist, nichts kostet und wo es ohnehin fast alle tun? Als der Lockdown für Ungeimpfte mit einer äußerst aggressiven politischen Rhetorik mit medialem Schulterschluss angekündigt und dann auch durchgesetzt wurde, hat die Kirche offiziell dem nichts, aber auch gar nichts entgegengesetzt. Durchbrochen wurde dieses kirchenoffizielle Schweigen höchstens durch einzelne aus Überzeugung handelnde Seelsorger und Seelsorgerinnen auf der Basis sehr persönlicher und auf dem Gewissen beruhender Entscheidungen. Über diese Form der Diskriminierung war der Mantel des Schweigens gebreitet. Ob der Kirche das gut getan hat, bleibt zu bezweifeln. Tatsache jedenfalls ist, dass ihr spätestens ab diesem Zeitpunkt nicht wenige eigentlich kirchlich empfindende Gläubige den Rücken gekehrt und ihren Austritt erklärt haben. Es haben sich nicht bloß am Rande Stehende verabschiedet, sondern Leute aus ihrer Mitte. Es bleibt zu fragen, ob sich die Kirche in ihrem institutionellen Gefüge lediglich damit begnügt, als „systemrelevante“ politische Vorfeldorganisation und – das hat die rezente Vergangenheit mehr als deutlich gezeigt – als moralisches Disziplinierungsinstrument zu fungieren oder ob sie nicht doch für etwas anderes da ist.

Martin Lang, Hochschullehrer, Innsbruck

11 Gedanken zu „Über die Rolle der Kirche während der Pandemie und des Lockdowns für Ungeimpfte

    1. Für mich ist es auch unerträglich, dass die Kirche sich nicht laut für alle Ungeborenen einsetzt und hier die Position für das Leben einnimmt. Aber Kirche ist auch nicht nur die institutionelle Kirche sondern auch die Menschen an sich. Mich tröstet als Gläubige, dass sich viele wahre Christen und Gläubige – natürlich in allen Bereichen- für diese Randgruppen und schwächsten (Ungeborenen) einsetzen.

  1. Ich stimme zu und ergänze: Wäre es nicht gerade dir Aufgabe der Kirche gewesen, der von allen Seiten geschürten Angst unter dem sonst so viel gepriesenen Motto „Fürchtet euch nicht!“ etwas entgegenzusetzen und die Menschen zu bestärken?

  2. Die Kirche hat es wie immer gehalten, mit den Mächtigen mitzuschwimmen und ängstlich verbreitende voreilende Pflichtbereitschaft auch noch zur Schau zu stillen, in dem Sinne: Wir sind gehorsam, mit uns könnt ihr auch bei der nächsten Herrschaftsbezeichnung rechnen. Ein Beispiel dazu: In der Kirche nickt man sich nach wie vor zu und reicht sich nicht die Hände, obwohl dies in allen anderen Lebensbereichen mittlerweile wieder Usus ist

  3. sehr gute Fragen gestellt! Genau so beschäftigten mich solche Gedanken, die Impfstr. im Dom führte zum Schreiben meines zweiten Briefes an einen Bischof. Antwort? Keine…
    Für mich ist die Institution Kirche überfällig! Hätte ich nicht einen tiefen
    Christusglauben, wäre ich schon länger ausgetreten. Regelmäßiger Kirchgänger bin ich nicht mehr.

  4. Lieber Martin, herzlichen Dank für den guten Artikel. Wenngleich man den Bischof auch namentlich hätte nennen können, damit jener Bischof nicht in Vergessenheit gerät, der das gesagt hat. Für mich war dieses Verhalten äußerst befremdlich. Herzliche Grüße

  5. Noch zu erwähnen ist, dass ausgerechnet ein Kardinal den Ausspruch tätigte: “Oh Herr lass Hirn regnen für die Ungeimpften” und im Stephansdom eine Impfstraße einrichten ließ.

  6. Spiritualität und Glaube hat heutzutage nichts mehr mit Kirche zu tun.
    ich hab die Kath. Kirche schon vor zwei Jahren verlassen. Mein Grund für den Austritt: das kritische Hinterfragen der Impfung ist Dummheit – Aussage eines
    österr. Landesbischof.

  7. Trifft den Nagel auf den Kopf. Übrig bleibt noch zu sagen, dass auch andere religiöse Organisationen und ihre Oberhäupter (Dalai Lama usw.) dasselbe getan haben. Für mich haben alle diese Leute endgültig jede Glaubwürdigkeit verloren. Weil es ist immer und immer wieder dasselbe mit religiösen Organisationen und deren Götzen. Korrupt bis ins Mark, darüber das Mäntelchen der Heiligkeit. Wahre Spiritualität ist etwas Individuelles und bedarf der Freiheit. Daher verträgt sich Spiritualität nicht mit religiöser Organisation. Die wahre Kirche ist die nur eine des Geistes.

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