Schreiben an die Ö1-Redaktion am 2.12.2022 als Reaktion auf die Sendung „Gedanken für den Tag“ von Daniel Landau von 28.11.-2.12.2022.
Verfasst von Jutta Spitzmüller.
Sehr geehrtes Ö1-Team,
ich gehöre seit mehr als 25 Jahren zu den begeisterten Stamm-Hörerinnen ihres Programms. An Ö1 schätze ich besonders die Programmgestaltung, wo zu unterschiedlichsten Themen auch kontroversielle Standpunkte und kritische Stimmen zu Wort kommen dürfen. Die Sendung „Gedanken für den Tag“ zählt zu den Fixpunkten meines Starts in den Tag.
Diese Woche machte sich Daniel Landau unter verschiedenen schönen Titeln u.a. “Wunsch an das Christkind“ bis „Nicht verstummen!“ Gedanken über das Auseinanderdriften der Gesellschaft und wie dem entgegengewirkt werden könnte. Er sprach dabei auch über das von ihm mitveranstaltete Lichtermeer unter dem Titel „Yes we care“.
Sich für Gedenken und Miteinander einzusetzen ist sehr begrüßenswert, mehr als irritiert hat mich aber die Tatsache, dass Landau unterschwellig die Demonstrationen der damaligen Zeit (gegen die sich sein „Yeswecare“ gerichtet hat) als gewalttätig darstellt.
Und zwar in einem als Frage vorgetragenen Satz berichtet er, dass jemand auf Twitter geschrieben hatte: “Sollten wir den lauten Demos nicht etwas lautstark entgegensetzen?” und er mit der Frage geantwortet hätte: “Würde das nicht zu noch mehr Gewalt führen?”
“Würde das nicht zu noch mehr Gewalt führen?” diese Frage suggeriert, dass die lautstarken Demos der Corona- Zeit grundsätzlich gewalttätig waren. Mit dieser Frage stellt er alle, die an den Demos teilgenommen haben sofort in eine gewalttätige Ecke, ohne zu beachten und zu bemerken, dass dort viele Menschen waren aus Sorge um unsere Demokratie, aus Sorge um andere, die durch die Maßnahmen geschädigt wurden, die sich also ebenso für ihre Mitmenschen und für Mitgefühl einsetzten wie die Menschen, die an „Yeswecare“ teilnahmen. Menschen, die daheim allein gelassen wurden, die ihre Jobs verloren, die durch Impfnebenwirkungen schwer geschädigt wurden, die sozial ausgeschlossen wurden, das alles rief und ruft zum Teil bis heute große Besorgnis hervor. Doch diese Besorgnis scheint kaum gehört zu werden, weil sie von den „Falschen“ kommt, den „Maßnahmenkritischen“.
Untern den Kritischen waren und sind viele bürgerliche Menschen wie ich, auch Wissenschafter:innen und Ärzt:innen, die sich bemüht haben in einen Dialog zu kommen über die Vorgänge. Aber anstatt die friedlich und vernünftig Argumentierenden unter den Maßnahmenkritischen zum Gespräch einzuladen, wurden alle pauschal als asoziale „Verschwörungstheoretiker und Schwurbler“ abgetan. Es gab sogar Kündigungen von Wissenschafter:innen und Ärzt:innen, die sich sorgenvoll zu Wort gemeldet hatten. Die einseitige Berichterstattung und systematische Ausschließung dieser ganzen Gruppe aus dem öffentlichen Diskurs hat vermutlich zur Verhärtung der Fronten sehr beigetragen. Leider führt das Ausschließen einer Gruppe zur Vertiefung der Konflikte. Somit haben sich gerade diejenigen, die diese Spaltung vorantrieben mitschuldig gemacht an der Bildung einer tiefen Kluft in der Gesellschaft.
Gerade auch aus dem “linken” Spektrum nahmen Menschen an den Demos teil, die sich zunehmend Sorgen machten, dass der Staat die Menschen zu Maßnahmen verpflichtet, die der Gesundheit und dem seelischen Wohlergehen nicht mehr zuträglich sind. Menschen, die sich für diejenigen einsetzten, die plötzlich von Politikern (u.a. dem Bundeskanzler) als Menschen zweiter Klasse behandelt wurden. Ich kenne viele Menschen, die an diesen Demos teilgenommen haben, die alle die Erfahrung gemacht haben, dass dort eine sehr friedliche Stimmung herrschte. Dass auf Demos einzelne Unruhestifter mitmischen ist nicht zu verhindern – leider! – darüber wurde von den Medien allerdings bevorzugt berichtet.
Pikant ist, dass der Beitrag von Daniel Landau ausgerechnet am 28.11. im Ö1 Programm gebracht wurde, dem Tag, wo im Radiokolleg über das Phänomen „Cancel Culture“ reflektiert wurde: “Canceling” ist ein heute üblicher Vorgang, bei dem – so das Radiokolleg – bedauerlicherweise eine bestimmte Meinung als „böse“ gebrandmarkt wird und ausgelöscht, also nicht mehr gebracht wird, was leider gar nicht zu dem gewünschten offenen Diskurs führt, sondern zum Gegenteil. Philosoph Pfaller erläuterte, dass es heute leider Usus geworden sei, Andersdenkende bei erster Gelegenheit unmöglich zu machen anstatt ins Gespräch zu gehen. Heute verbietet man schnell der anderen Seite das Wort. Wichtige Argumente der anderen Seite gehen dadurch verloren. „Wir versäumen das, was in liberalen Demokratien möglich sein sollte: nämlich die Gelegenheit, von Anderen in der Diskussion zu lernen.“
Dagegen steht die Methode “Calling In”, wo man Andersdenkende zur Diskussion und zum Meinungsaustausch einlädt, weil genau das – nämlich das Diskutieren unterschiedlicher Meinungen ein wichtiges Merkmal einer funktionierenden Demokratie ist!
Zurück zur Sendung „Gedanken für den Tag“:
Die Beiträge von Daniel Landau mögen der ehrlichen Absicht entspringen, sich für das Miteinander einzusetzen, aber wenn man genau hinhört bemerkt man, dass er im Grunde nur seine Aktion als „richtig und gut“ darstellt und die riesige Gruppe der Menschen, die an den Corona-Demos teilgenommen haben pauschal als gewalttätige Gegner darstellt. Genau hier setzt meine Kritik an:
Erstens waren die Corona-Demos nicht grundsätzlich gewalttägig! Das zu behaupten ist an sich schon eine sehr arge Unterstellung und einfach zu widerlegen, wenn man bei der Polizei nachfragt! Das Recht zu demonstrieren ist ein wichtiges in einer Demokratie. Unwahrheit zu behaupten gehört nicht zu den Rechten in einer Demokratie.
Zweitens bewirkt, wie oben ausgeführt, ein reines Verurteilen der Andersdenkenden nicht mehr Miteinander, sondern führt zur Verhärtung der Fronten!
„Wir sind die Guten, die alles richtig gemacht haben und ihr seid die Bösen“ ist eine grobe Vereinfachung der Wirklichkeit, die selten zutrifft und immer zu mehr Konflikten und weniger Verständnis führt. Das bedeutet, dass die weihevoll vorgetragenen Worte von Daniel Landau nur oberflächlich zu mehr Miteinander beitragen, wenn man genau zuhört, aber zu einer Vergrößerung der Kluft führen und aus meiner Sicht daher als „scheinheilig“ zu bezeichnen sind.
Erwähnen möchte ich auch:
Wer gedenkt denn heute der vielen, die nachweislich vor der Impfung gesund waren und sich aufgrund des öffentlichen Drucks dann impfen ließen und die heute unter schweren gesundheitlichen Folgen leiden? Deren Familien durch die Hetze gegen ungeimpfte Menschen zerbrachen? Sind das keine Menschen, denen unser Mitgefühl und unsere Sorge gilt? In dem Beitrag von Landau wird das alles komplett negiert, und die Welt in „gut“ und „böse“ eingeteilt. Wenn Herr Landau das so sieht, ist das sein gutes Recht. Aber wenn Ö1 als aufgeklärtes staatlich finanziertes Medium das bringt, ist das zutiefst bedenklich! Ich vermute, dass niemand mit kritischem Ohr sich diese Beiträge tatsächlich vorher angehört hat. Ich hoffe es – um nicht an der Urteilsfähigkeit der Redaktion zweifeln zu müssen!
Was es bräuchte, ist genau das Gegenteil – keine scheinheiliges „Wir sind die Guten“ , sondern ein aufeinander Zugehen und offene Gespräche, wo alle zu Wort kommen und alle der anderen Seite zuhören!
Leider hat das in und seit der Zeit der Corona-Maßnahmen nicht stattgefunden – indem nämlich alle, die es wagten, Kritik an den staatlich verordneten Maßnahmen zu üben, sogar wenn sie höflich und seriös vorgetragen wurde – als Schwurbler und Unmenschen abgetan wurden. Über Kritiker der Maßnahmen wurde nur berichtet im Zuge von Demos, wo sie als schrullige Chaoten dargestellt wurden, seriöse Vertreter einer anderen Meinung wurden selten bis gar nicht dazu eingeladen an Diskussionen teilzunehmen oder ein Statement abzugeben. Diese Art einseitige Medienberichterstattung ist einer Demokratie unwürdig!
Wenn der ORF und im Speziellen Ö1 die Inhalte der eigenen Sendungen ernst nimmt – nämlich das Einbeziehen auch „anderer Meinungen“ und das Miteinander, dann habe ich jetzt auch einen Wunsch an das Christkind:
Dass der ORF zur Aufarbeitung und Versöhnung beiträgt, indem er erstmals auch die „andere Seite“ zu Wort kommen lässt. Menschen, die durch die Maßnahmen und soziale Ausgrenzung geschädigt wurden, die zu Unrecht als unverantwortlich und asozial dargestellt wurden. Wo in einer versöhnlichen Art und Weise ehrlich und offen aufgezeigt wird, was geschehen ist, sodass alles Unrecht beleuchtet wird und Lernen und Reue auf allen Seiten möglich wird!
“Nicht verstummen!” war die Botschaft der heutigen letzten Sendung. Nicht verstummen sollten in einer Demokratie die Menschen, die auf Unrecht und Misstände hinweisen und nicht verstummen sollte der öffentlich rechtliche Rundfunk im Aufzeigen von Tatsachen, auch wenn sie unbequem sind!
Mit der Bitte um Stellungnahme!
Mit freundlichen Grüßen
Jutta Spitzmüller, MA