Ein Gastbeitrag von David Schrottner
Desinformation, also irreführende Information, die der Manipulation und Propaganda dient sowie Falschinformation (engl.: misinformation) gab und gibt es über die gesamte Menschheitsgeschichte. Sie wurden immer wieder als Argumente für die angebliche Notwendigkeit von Zensur sowie gegen offenen Diskurs und Demokratie verwendet.
Erfindungen wie der Buchdruck, das Internet oder die Social Media erleichterten sowohl die Verbreitung von Desinformation als auch jene korrekter Information, legitimer Meinungen und von Widerlegungen der Falschinformationen.
Jeder Fortschritt, der wie der Buchdruck die Effizienz der Informationsverbreitung erhöhte, wurde als Gefahr stilisiert, um offenen Diskurs einzuschränken, Zensur zu legitimieren und die Unmöglichkeit einer echten ungelenkten Demokratie direkt oder indirekt zu behaupten.
Aufklärer zeigten, dass das Gegenteil der Fall ist: Zensur wird von den Mächtigsten und damit von den am schwersten widerlegbaren Kreisen als Mittel der Propaganda und zur Verhinderung ihrer Widerlegung missbraucht. Offener Diskurs ohne Wahrheitsministerien dient der Wahrheit, dem Wettkampf der besten Argumente und Ideen am effektivsten. Der Anti-Sektierer Voltaire sagte: „Je mehr Sekten sind, desto weniger Gefahr ist von jeder einzelnen zu besorgen.“
Hinzu kommt, dass es in vielen Fragen, die faktisch der Zensur unterworfen wurden und werden, gar kein der Wissenschaft zugängliches Wahr und Falsch gibt. Es geht häufig um eine Vermischung von Deskriptivem mit Wertungen. Ein Beispiel ist die ganz und gar nicht triviale Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit, die von kriegerischen Konflikten bis Pandemien eine zentrale Rolle spielt. Worum es hier geht, ist eher als Willensentscheidung denn als Wahrheitsurteil zu bezeichnen.
Sobald Wertungen in Entscheidungen einfließen, also in politischen Fragen so gut wie immer, ist ein billiger Szientismus, der vorgaukelt, dass die Richtigkeit von Wertungen empirisch beweisbar wäre, nichts anderes als autoritäre Propaganda. Wahrheitsministerien, die unter dem Banner der Wissenschaft und des Kampfes gegen Desinformation, politische Fragen der demokratischen Willensbildung entziehen wollen, sind als totalitäre Institutionen abzulehnen.
Durch die Zusammenarbeit mit sogenannten Faktencheckern, die Förderung ihres Geschäftsmodells und die Zensur abweichender Positionen den offenen demokratischen Diskurs zu behindern, gleicht in der Wirkung der Arbeit von Wahrheitsministerien.
Ein unaufgeklärtes, anti-demokratisches Wahrheitsverständnis wird nicht durch den Etikettenschwindel aufgelöst, den Begriff „Wahrheit“ durch den Begriff „Fakt“ zu ersetzen. Auch die modische Verwendung des Faktenbegriffs dient häufig unter anderem der Verschleierung einfließender Wertungen in komplexe Entscheidungen, um diese unhinterfragbar zu machen.
Der Wissenschaftstheoretiker Sir Karl Popper führte ins Treffen, dass die Wissenschaft keine letztgültigen Beweise zustande bringt. Sie sei vielmehr durch das ehrliche Bemühen um Widerlegung („Falsifikation“) eigener Thesen gekennzeichnet, was sie von Ideologien unterscheide, die nur empirische Bestätigungen für eigene Vorurteile wahrnehmen und verbreiten (wollen). Wer sich im offenen Austausch um Widerlegung bemühe, diese aber nicht zustande bringe, habe die Gültigkeit seiner These untermauert, sie plausibler bzw. wahrscheinlicher gemacht.
Wer Informationen und Positionen unterdrückt, indem er darauf hinweist, dass die Mehrheit der Wissenschaftler etwas anderes sage (meist ohne dies mit einer adäquaten Erhebung zu untermauern), zerstört im Namen der Wissenschaft, was die Wissenschaft ausmacht: offenen Diskurs, die Minimierung von Konformitätsdruck und das ehrliche Bemühen um Falsifikation.
Wer jeden aufbegehrenden, Gegenargumente gegen den Mainstream vorbringenden Wissenschaftler diskreditiert und ihm die vermeintliche Arroganz vorwirft, sich als Galileo Galilei zu sehen, produziert eine selbsterfüllende Prophezeiung und argumentiert zirkulär. In diesem Klima wird kaum noch jemand zum Galilei.
Selbstverständlich ist nicht jede Gegenposition gegen einen Mainstream oder gegen eine von Mächtigen erwünschte Position stichhaltig und vernünftig. Die demokratische Gesellschaft und die Wissenschaft sind allerdings von dem Vertrauen getragen, dass sich Stichhaltigkeit oder Verrücktheit im offenen Diskurs natürlich erweisen.
Wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Fortschritt starten mit einem Aufbegehren, mit einer neuen, außergewöhnlichen Perspektive. Diskurs mit dem behaupteten Status quo der Mehrheitsverhältnisse zu unterdrücken, verhindert Fortschritt und damit echte Wissenschaft, die sich nicht instrumentalisieren und in ein Label autoritärer Propaganda verwandeln lässt.
Die Mehrheit kann in der Demokratie (wiederholt und damit mit Revisionsmöglichkeiten) unter Einhaltung von Minderheitenrechten Entscheidungen fällen, sie darf aber den offenen Diskurs und die Meinungsfreiheit nicht unterdrücken. Demokratie ist ein dynamischer Prozess, in dem aus Minderheitsmeinungen Mehrheitsmeinungen werden können. Dies ist in der Geschichte regelmäßig kraft gewaltfreier und oft hartnäckiger Argumentation von Minderheiten und aufgrund der Kumulation neuer Erfahrungen passiert.
Dass Zensur nie uneingeschränkt gilt und perfekt funktioniert, legitimiert sie nicht. Sie bleibt in ihrer Wirkung anti-demokratisch und totalitär. Wenn es beispielsweise noch Demos gegen Corona- Maßnahmen gibt, beweist das keinesfalls, dass der Diskurs offen und demokratisch läuft.
Regelmäßig wird suggeriert, dass der Gefahr der Desinformation durch die Entscheidung für blindes Vertrauen in bestimmte Autoritäten begegnet werden könne. Dies läuft auf einen ideologischen Streit hinaus, wem blind zu vertrauen sei und ist damit offensichtlich keine stringente Lösung. Vielmehr handelt es sich um eine zirkuläre Argumentation: Personen, die bestimmten Autoritäten vertrauen, sagen, etwas wäre eine Falschinformation, weil jenen, denen sie vertrauen, zu vertrauen sei.
Die Suggestion, dass der Souverän der Demokratie nur zwischen blindem Vertrauen in das eine oder das andere ideologische Lager wählen könne, da er keine Möglichkeit habe, die Richtigkeit von Behauptungen zu beurteilen, ist zurückzuweisen. Eine der zentralen Möglichkeiten, Desinformation zu entlarven, ist das Herausarbeiten von inneren Widersprüchen. Dieses und andere Mittel stehen sogenannten Faktencheckern, Journalisten, Politikern etc. nicht exklusiv zur Verfügung, sondern sind allen mündigen BürgerInnen zugänglich.
Expertenhörigkeit passt unter anderem deshalb nicht zu einer demokratischen Gesellschaft, weil sich Experten nicht nur durch wertfreies, altruistisch eingesetztes Wissen auszeichnen, sondern häufig auch durch eine gemeinsame Interessenlage. Die Interessen von Experten können auf Finanzielles, auf Status, auf Absicherung von Privilegien etc. ausgerichtet sein.
Experten können nicht nur Konformitätsdruck erzeugen, sondern auch selbst unter Konformitätsdruck stehen. Der Weg zum Expertenstatus ist ein Auswahlprozess, der ideologische Elemente beinhalten und darauf ausgerichtet sein kann, Partikularinteressen wie den Status bereits anerkannter Experten nicht zu gefährden. Ohne Gegenwehr dreht sich die Sache im Kreis: Experte wird, wer Narrative bestätigt.
Fazit: Die Lösung gegen Desinformation besteht nicht in der Monopolisierung der Desinformations-Möglichkeiten durch Mächtige, sondern vielmehr im offenen Diskurs. Je effizienter die Verbreitung von Informationen durch Erfindungen wie das Internet, desto mehr muss auf offenen Diskurs gesetzt werden.