Buchkritik zu Peter Strohschneider, Wahrheiten und Mehrheiten. Kritik des autoritären Szientismus

Buchkritik am 26.9.2025

Peter Strohschneider, Wahrheiten und Mehrheiten. Kritik des autoritären Szientismus (Edition Mercator) Verlag C.H. Beck, ISBN 978-3-406-81568-3

Man muss nicht alles wissen, um trotzdem zu glauben, dass nicht alles wahr ist, was einem glauben gemacht wird. Man muss auch nicht alles glauben in dem Wissen, dass nicht alles wahr sein kann, was einem als „alternativlos“ oder „Follow the Science“ aufgetischt wird. Peter Strohschneider, Literaturwissenschaftler, ehem. Vorsitzender des Deutschen Wissenschaftsrats und Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft glaubt es nicht bloß, er muss es wissen, wenn er in seinem Buch eine Analyse des „autoritären Szientismus“ vornimmt, also jener Haltung oder politischen Praxis, bei der (naive?) Wissenschaftsgläubigkeit mit einem tendenziell undemokratischen Machtanspruch verschmilzt. Selbst lange Zeit mit wissenschaftspolitisch bedeutsamen Agenden befasst, fällt es dem Autor leicht, viele Vorgänge der jüngeren Zeit (Klimadiskurs, Lauterbachs Gesundheitspolitik) in diesem Horizont zu sehen und zu deuten. Folgende Punkte (nicht erschöpfend) arbeitet er heraus, indem er sich kritisch mit dem Verhältnis von Wissenschaft und Demokratie in Krisenzeiten auseinandersetzt:

Strohschneider argumentiert, dass wissenschaftliche Erkenntnisse zwar wichtig sind, aber:

  1. Wissenschaft ersetzt Politik nicht: Wissenschaft liefert Fakten, ist aber selbst nicht frei von Unsicherheiten und sozialen Prozessen. Sie kann politische Ziele und Wertekonflikte (z. B. zwischen Freiheit und Sicherheit) nicht lösen.
  2. Die Gefahr der Verwissenschaftlichung der Demokratie: Wenn die Politik sich hinter der „Sachrationalität“ der Wissenschaft versteckt und die Ergebnisse als zwingende Imperative verkauft, werden das Mehrheitsprinzip und die freiheitliche Debatte (der Pluralismus) ausgehebelt.
  3. Kritik der „Aktivistischen Wissenschaft“: Er kritisiert Formen der Wissenschaft, die selbst zum politischen Akteur werden (wie z. B. die Scientists for Future), und dadurch ihre Rolle als neutrale Expertise zugunsten eines undemokratischen Wahrheitsanspruchs aufgeben.
  4. Plädoyer für Pluralismus: Strohschneider plädiert für eine konstruktivere Allianz zwischen wissenschaftlichen Wahrheiten und politischen Mehrheiten. Dies bedeutet, die Demokratie (das Mehrheitsprinzip) als den eigentlichen Ort der Beratschlagung und Beschlussfassung zu verteidigen – anstelle der Herrschaft einer einzigen, „vorpolitischen“ wissenschaftlichen Wahrheit.

In Zeiten von Klima-, Gesundheits- oder Umweltkrisen – so die zentrale These des Buches – besteht die Gefahr, dass die Demokratie durch einen autoritären Szientismus untergraben wird. Die Forderung „Follow the Science!“ dient dann nicht mehr der rationalen Entscheidungsfindung, sondern wird als undemokratischer Machtanspruch eingesetzt, der politische Diskussionen und das demokratische Mehrheitsprinzip durch die vermeintlich „alternativlose“ Wahrheit der Wissenschaft ersetzen will.

Auch, wenn das Buch nicht sehr leicht zu lesen ist – seine Lektüre lohnt sich!

Hinweis: Die gesammelten Literaturtipps der GGI