PM: #89 Rhetorik des Rechthabens – Schuld sind die anderen

Presseaussendung der GGI-Initiative am 11.01.2024

Der Soziologe Heinz Bude – maßgebliches Mitglied der ersten und sehr einflussreichen Corona-Kommission der deutschen Bundesregierung – täuscht in einem Interview bezüglich seiner Haltung zu den Corona-Maßnahmen Bereitschaft zum Entgegenkommen vor. Tatsächlich ist sein explizit geäußertes Interesse an einer Aufarbeitung allerdings ein sehr fragliches. Die GGI-Initiative übt Kritik an Budes Aussagen und bezieht sich dabei vornehmlich auf den sich selbst zugestandenen überlegenen Intellekt sowie seine Darstellung der kritischen Bevölkerung als sozial und charakterlich minderwertig. Er verwechselt weiterhin Bilder mit Fakten und hält an der Überlegenheit sogenannter Experten fest. Fachliche Vertretung meint er mit Modellen und Strategiepapieren ersetzen zu können. Daraus erschließt sich abermals die unverminderte Notwendigkeit einer echten und umfassenden Aufarbeitung.

Einheitsbrei in Rundfunk und Gremien

Wir haben in einer vergangenen Aussendung eine vierteilige Episode des Ö1 Radiokollegs einer Analyse unterzogen und dessen propagandistische Abwege aufgezeigt. Der zum Strohmann stilisierte Interview-Partner wird begleitet von Kampfbegriffen, Appellen an die Autorität von Experten, Appellen an das Nichtwissen und weiteren. Das übergeordnete Vorgehen lässt sich mit Brunnenvergiftung zusammenfassen, also Vertreter eines gegnerischen Standpunkts insgesamt und grundsätzlich als intellektuell und/oder charakterlich unterlegen darzustellen. [1]

Diese Sendung wurde Ende Juni 2023 ausgestrahlt. Kurz zuvor, im Mai 2023, stellte sich der Soziologie Heinz Bude, Mitglied einer einflussreichen deutschen Corona-Kommission, dem Gespräch auf einem populären YouTube-Kanal “Jung und Naiv“. [2]

Darin meint er, nicht zu denen zu gehören, die darauf bestehen recht zu haben. Dabei unterschlägt er, dass er recht haben MUSS, sonst ergibt dieser ganze Wortschwall keinen Sinn. Mehr noch: es würde sich die Stoßrichtung umkehren. Damit erweist sich Budes als Nachweis persönlichen Edelmuts konzipiertes Bekenntnis zum Nichtrechthabenwollen bei näherem Hinsehen als Tarnkäppchen zum Zweck der Diskussionsverweigerung. Weil das bei Weitem nicht der einzige demokratieferne Standpunkt ist, nehmen wir uns die auffälligsten Passagen aus dem Interview vor.

Nur wer nichts tut, macht keine Fehler

Bude will sich im Nachhinein nicht von Besserwissern in die Suppe spucken lassen. Alle Maßnahmen seien auf der Basis des damaligen Wissens getroffen worden. Er sieht in den von genannter Kommission empfohlenen (und von der Regierung anschließend umgesetzten) Maßnahmen eine Folge verantwortungsgeleiteter Abwägung, nicht zuletzt auf der Basis von Rechenmodellen. Ihm sei bewusst gewesen, dass „das nicht ohne enorme volkswirtschaftliche Schäden passieren“ und damit der Untergang ganzer Industriezweige in Kauf zu nehmen sein würde (1:12:00). An dieser Stelle überkommt den zarter besaiteten Zuseher ein Schauer angesichts der mit großer Geste zur Schau gestellten Allmacht dieser Kommission, die allerdings nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben will. Auch im Rückblick sieht Bude darin einen erfolgreichen und richtigen Weg der Pandemiebekämpfung.

Warum so aggressiv?

Konsequenterweise erkennt Bude in der Bewertung der Maßnahmen durch die betroffene Bevölkerung keine Abstufungen. Einzig die uneingeschränkte Zustimmung scheint ihm normal, die riesige Bandbreite aller anderen Einschätzungen schreibt er „Impfgegnern“ zu, die er im Laufe seiner Ausführungen als „verpanzert“, einer „starken Selbstverwirklichungs-Szene“ (1:52:55) zugehörig oder als „einer archaischen Freiheitsidee“ anhängende „Spreader“ bezeichnet, die sich „nicht an Verhaltensregeln“ halten würden (1:39:00).

Alles für das Volk, nichts durch das Volk

Mit diesen Zuschreibungen gibt Bude allerdings die für sich in Anspruch genommene Unantastbarkeit des auf unbekanntem Terrain sich mühenden Wegbereiters auf. Zum einen, weil er auf der prinzipiellen Richtigkeit seiner Entscheidungen beharrt. Nicht die ursprünglichen Einschätzungen stehen hier zur Disposition, sondern ebendiese aktuelle Behauptung. Zum anderen, weil er selbst mit heutigem Wissen einer Personengruppe, die er mit einem angeblichen Bevölkerungsanteil von „zehn bis zwanzig Prozent“ als marginal darzustellen trachtet, den Vorwurf macht, im Unrecht zu sein.

Nun hat er von sich zwar die hohe Meinung, einer intellektuellen Elite anzugehören, die „wohlmeinend für das gesellschaftliche Interesse denken“ (1:32:30) und daher auf „Konsenspolitik“ – sprich: auf demokratische Entscheidungsfindung – verzichten könne (1:31:10). Allerdings sollte ihm klar sein, dass ihn diese Selbsteinschätzung allein ganz sicher nicht aus der Masse hervorhebt. Seine begrenzt bescheidene Beurteilung jener Experten-Elf als Resultat der „Fokussierung gesellschaftlicher Intelligenz“ (1:18:20) entzieht deren Entscheidungen keineswegs einer öffentlichen Bewertung, sondern ruft unter demokratischen Verhältnissen umso lauter danach.

Bilder und Wunder

Natürlich kann man den Kern persönlicher Betroffenheit maßnahmenkritischer Personen durch die geäußerten Vorwürfe in jener vom Neoliberalismus inspirierten Hyper-Egomanie verortet sehen, die Heinz Bude und Tilo Jung den „Impfgegnern“ freimütig zuschreiben. Auch mag man in diesen die destruktiven Asozialen erkennen, deren hinterhältige Angriffe hässliche Kratzspuren in die strahlende Fassade moderner Faktenchecker-Demokratien ziehen. Was aber, wenn das Momentum des „Rechthabens“ wechselte? Was, wenn die „Särge von Bergamo“, die diese elf Experten bei ihren Entscheidungen vor Augen hatten (1:22:30), ein irreführendes Bild abgaben? Was, wenn im Allgemeinen die Maßnahmen nicht angemessen und im Speziellen die Impfung nicht der Gamechanger waren? Was, wenn durch übereilte Verabreichung neuartiger Wirkstoffe – Bude selbst spricht im Zusammenhang mit dem Tempo der Impfstoff-Entwicklung von „Wunder“ (1:26:50) – wesentlich weniger Menschen gerettet und wesentlich mehr Menschen zu Schaden gekommen wären als von ihm angenommen? Wer wäre dann der irregeleitete, archaisch rücksichtslose Egoist?

Das Wunderteam

Vielleicht ist das unangebrachte Polemik, aber ein Detail des Interviews wirft ein spezielles Licht auf die hier getätigte Vorstellung. Bude beschreibt darin ein Lebensgefühl der 1980er-Jahre, das sich für ihn sehr prominent darin äußerte, dass man in der Club-Szene als Mann zumindest einen gebrauchten Brioni-Anzug tragen musste, um eine „Chance bei den Mädels“ zu haben (1:59:30). Das ist mit Sicherheit eine pointierte und wahrscheinlich im Kern zutreffende Bemerkung, ihre gesamtgesellschaftliche Relevanz erscheint allerdings nicht gesichert. Etwa in demselben Maße wie die subjektive Ernennung von elf Experten durch einen – man mag es kaum für möglich halten – Staatssekretär, was selbst Interviewer Jung zu einer Nachfrage veranlasst (1:17:30). Die Identität dieser mit höchster Verantwortung betrauten Personen will Bude nicht preisgeben. Lediglich zwei Namen aus dem Bereich der Wirtschaft purzeln ihm über die Lippen. Schließlich durften Kultur und Dienstleistung kollabieren, nicht aber VW. Für die unbeantwortet im Raum stehenbleibende Unklarheit der Qualifikationen der restlichen Experten hat Bude eine von listigem Grinsen begleitete Gegenfrage (1:19:20): „Wofür brauchen wir Virologen?“

Aus Fehlern lernt nur, wer sie erkennt

Nun müssen wir zugeben, dass uns das angesichts der Vorkommnisse auch nicht immer klar war. Die Antwort Budes auf seine eigene Frage lässt uns dennoch ratlos zurück. Die von ihm befürwortete radikale Eindämmungsstrategie auf der Basis von Modellen (mit unsicherer Datenbasis) wirkt auch in seiner Schilderung wie ein absurdes Hirngespinst. Und doch wäre sie nur dann keine undemokratische, inhumane und willkürliche Zerstörung von Existenzen und Werten, wenn er und seine Mannschaft recht hätten. Und das gilt es jetzt herauszufinden, auch wenn er meint, dass es darum nicht gehe. Bis dies anerkannt wird, bleibt die Notwendigkeit einer echten, umfassenden Aufarbeitung der Corona-Krise unvermindert.

Quellenangaben

[1] Anonym. Manipulative, rhetorische Trickkiste – Ö1 Radiokolleg auf Abwegen. Grüner Verein für Grundrechte und Informationsfreiheit, 2023. online: https://ggi-initiative.at/wp/pm-40-manipulative-rhetorische-trickkiste-oe1-radiokolleg-auf-abwegen

[2] Jung T. Soziologe Heinz Bude – Jung & Naiv: Folge 644. YouTube, 2023. online: https://www.youtube.com/watch?v=9v3pQnI_7I4

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