PM: #115 Andreas Sönnichsen: Wo ist die Evidenz?

“Die bessere Glaskugel”
Presseaussendung der GGI-Initiative am 24.04.2024

Wie bereits thematisiert, gab es einige Expertinnen und Experten, die in ihren Einschätzungen (ziemlich) daneben lagen und durch ihre Fehlannahmen dazu beigetragen haben, dass insbesondere Deutschland und Österreich so schlecht durch die Coronakrise kamen. Beruflich hat ihnen das nicht geschadet – im Gegenteil. In einer rationalen Welt würden allerdings zukünftig jene Fachleute zurate gezogen, deren Prognosen und Ansätze sich als richtig herausstellten. Einer davon war der Vorsitzende des Netzwerks für Evidenz-basierte Medizin (EbM), Prof. Andreas Sönnichsen. Er mahnte frühzeitig fehlende Evidenz ein und wies auf Darstellungsfehler hin. Anstatt jedoch in die Corona-Taskforce berufen zu werden, startete eine mediale Diffamierungskampagne. Heute ist klar – seine Kritik war berechtigt und richtig.

© Dirk Wächter

Der Arzt und ehemalige Professor an der Medizinischen Universität Wien Andreas Sönnichsen wurde im März 2020 einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Er verfasste im Namen des Deutschen Netzwerks Evidenz-basierte Medizin (EbM-Netzwerk) eine Stellungnahme zu den fehlenden sachlichen Grundlagen vieler Corona-Maßnahmen.

Irreführende Zahlen zur Fallsterblichkeit

Gleich zu Beginn stellt er darin eine – damals wie heute weitgehend unbeachtete – Tatsache klar: Die ersten Einschätzungen zur Gefährlichkeit bzw. Tödlichkeit eines neuartigen Krankheitserregers sind weit überzogen. Das liegt im Wesentlichen daran, dass zuerst nur schwere Fälle überhaupt erkannt werden. Das waren schon Ende 2019/Anfang 2020 fast ausschließlich alte und vorerkrankte Menschen. Diese haben eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit zu versterben, wodurch eine Fallsterblichkeit (Zahl der Todesfälle geteilt durch Zahl der Krankheitsfälle) zwischen 5 und 10 Prozent ermittelt wurde. Diese Fallsterblichkeit müsste aber auf die Zahl der Erkrankungen in der zugrundeliegenden Bevölkerung insgesamt normiert werden. Dazu fehlten in der Anfangszeit aber sowohl die diagnostischen Mittel als auch das Bewusstsein, dass man bei nur leichter Symptomatik ebenfalls mit dem neuen Erreger angesteckt sein könnte.

Fehlender Nachweis zur Wirkung von NPI

Weiters kritisiert Sönnichsen den Mangel an Nachweisen dafür, dass sog. nicht-pharmakologische Interventionen (NPI), wie Schließungen, Abstand halten, Masken, Kontaktnachverfolgungen etc., eine Wirkung auf die Gesamtsterblichkeit haben. Zusätzlich stellte er damals bereits in den Raum, dass neben den offenkundigen wirtschaftlichen Schäden durch diverse Schließungsmaßnahmen auch psychische und gesellschaftliche Auswirkungen durch soziale Isolierung zu erwarten sind.

Angesichts der massiv angestiegenen Vereinsamung, der deutlichen Zunahme an Depressionen und Suizidalität bei Kindern und Jugendlichen sowie des Vertrauensverlustes der Menschen in staatliche Institutionen kann man heute feststellen: Sönnichsens dahingehender Blick in die Glaskugel war messerscharf.

Bezugsgrößen Fehlanzeige

Bezüglich des Fallaufkommens insgesamt kritisiert Sönnichsen, dass weder ein zeitlicher noch ein kontextueller Bezug hergestellt wird. Die reine Erwähnung von z. B. “10.000 Fällen bisher” lässt außer Acht, wie groß die zugrundeliegende Bevölkerung ist und wie viele Menschen im gleichen Zeitverlauf sonst respiratorisch erkranken und/oder versterben. So forderte er bereits damals repräsentative Stichproben, um ein aussagekräftiges Lagebild zu erhalten.

Ungereimtheiten wie z.B. die vergleichsweise dramatische Situation in der eher wohlhabenden Lombardei gegenüber ärmeren Regionen Italiens werden bis heute ignoriert.

Weiters stellte der Wissenschafter bereits 2020 die Frage nach dem saisonalen Verhalten von Sars-CoV-2. Demnach hätte man damals schon in Erwägung ziehen müssen, dass die Ausbreitung – ähnlich wie bei Influenza – während der warmen Jahreszeit weitgehend zum Erliegen kommt sowie dass antigenetische Instabilität möglich und somit keine dauerhafte Immunität gewährleistet ist.

Auch die schon früh geforderte Begleitforschung, um mittels repräsentativer Kohorten die Wirksamkeit der Maßnahmen auszuwerten, wurde von den politisch Verantwortlichen stets verweigert.

Nicht zuletzt kritisierte Sönnichsen auch die evidenzbefreite Risikokommunikation, die alle etablierten Standards zur Panikvermeidung über Bord warf. Dass dies absichtlich so geschah, zeigte sich später durch die Veröffentlichung des sog. Panikpapiers, in dem es hieß:

Kommunikation: Der Worst Case ist mit allen Folgen für die Bevölkerung in Deutschland unmissverständlich, entschlossen und transparent zu verdeutlichen.

Schlussfolgerung

Das Wohl der Bevölkerung sollte das wichtigste Anliegen der Politik sein. Nachweislich wurde in der Corona-Krise aber oft gegen dieses Wohl gehandelt. Sich mit diesem Versagen ehrlich auseinanderzusetzen, ist unbedingt geboten. Die Einschätzungen der Kritiker und Kritikerinnen der ersten Stunde sind für eine umfassende Aufarbeitung von großer Bedeutung. Denn breit zusammengesetzte Beratungsgremien mit kritischen Experten sind essenziell, um künftige Krisen besser zu meistern.

All jenen, die die Kritiker, die am Ende recht behielten, bis heute meiden oder herabwürdigen, sei gesagt, dass sie selbst gegen ihre eigenen Interessen handeln. Falls erneut politisch willfährige “Experten” für künftiges Krisenmanagement herangezogen werden, sind verheerende Kollateralschäden vorprogrammiert.

Zudem verlieren Institutionen, Politiker und Medien zunehmend an Legitimität. Das geschieht zwar zu Recht, ist jedoch in einem demokratischen System keine wünschenswerte Entwicklung. Ob diesbezüglich eine Umkehr gelingt, hängt von der Einsichtsfähigkeit der Verantwortlichen ab.

Literaturangaben

Sönnichsen A. COVID-19: Wo ist die Evidenz? Deutsches Netzwerk Evidenz-basierte Medizin eV, 2020. online: https://tinyurl.com/552fxhwp

Anonym. Wie wir Covid-19 unter Kontrolle bekommen. Bundesministerium für Inneres, 2020. online: https://tinyurl.com/5t4xyk5v

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