Von Sabine Spögler-Dinse
Sigrid Maurer gegen Madeleine Petrovic, das ist frei nach Helmut Qualtinger: Brutalität. Erstere hat Letztere geklagt oder präzise formuliert deren Verein, weil der in einem Twitter (X) Posting Maurers berüchtigtes Mittelfingerfoto verwendet hatte. Und weil da schon im Vorfeld von der Maurer-Seite scharf geschossen wurde und die ganze Sache politisch nicht unheikel ist, würde die Verhandlung sicher spannend werden – so die Erwartungshaltung. War sie auch, aber anders als gedacht.
Wien 3. Bezirk, Montag Vormittag (15.04.2024). Auf dem Weg ins Handelsgericht fällt der Blick ins „heute“ Blatt. Eine Minigeschichte kündigt den Prozessauftakt an, daneben DAS Foto. Ja, sapperlot, dürfen die das? Geht es nicht genau darum, dass das Foto NICHT verwendet werden darf? Werden die als nächstes geklagt? Oder geht´s nur um den Kontext der Verwendung? Fragen über Fragen und allemal spannend die Rechtslage hier, auch für den Laien.
10.30 Uhr. Vor dem Verhandlungssaal im 21. Stock hat sich bereits ein kleines Grüppchen versammelt. Madeleine Petrovic ist da, umringt von Unterstützern aus dem beklagten Grünen Verein für Grundrechte und Informationsfreiheit (kurz GGI) und ihrem Anwalt Dieter Rautnig. Etwas abseits in Akten vertieft steht die Anwältin der Gegenseite, Maria Windhager. Dann sind da noch eine Fotografin von „heute“ und einige wenige Zuschauer, die Verhandlung ist öffentlich und auch für Medienvertreter zugänglich. Ein Vater kommt noch mit seinem Teenagersohn, er sei hier als Vertreter des informierten Bürgertums, sagt er auf Nachfrage und der Sohn grinst, er muss nicht in die Schule, vermutlich lernt er hier an diesem Vormittag ohnehin mehr.
Die Heute-Fotografin bittet um ein Foto von Frau Petrovic, dann öffnet sich die Tür und die Verhandlung beginnt, pünktlich um 10.45 Uhr. Anberaumt ist sie bis 11.30 Uhr. Der „Saal“ ist ein Raum in der Größe einer Schulklasse, auch die Tische erinnern ein wenig an Schule, knapp geht es sich aus, dass alle Interessierten Platz finden. Mag der Saal enttäuschen, der Ausblick tut es nicht. Er ist schlicht spektakulär, hinter der jungen Richterin öffnet sich durch riesige Fenster der Blick über die Stadt Richtung Kahlenberg, der Stephansdom scheint zum Greifen nahe. Doch niemand ist hier, um den Ausblick zu bewundern. Die Frau Rat verliert auch keine Zeit, begrüßt die beiden Streitparteien, die sich direkt gegenüber sitzen (nicht nebeneinander vor der Richterin, wie der gelernte Anwaltsserienprofi das gewöhnt ist) und stellt gleich fest, dass die Verlegung des Prozesses von Graz nach Wien keineswegs in ihrem Sinne war. Aus logistischen Gründen wurde das beantragt, erfahren wir vom Anwalt, weil bis auf ihn alle Beteiligten in Wien wohnen. Sigi Maurer ist trotzdem nicht da. Die Anwältin gibt an, als deren „informierte Vertreterin“ anwesend zu sein. Bissl schade, aber gewiss hat Frau Maurer Sinnvolleres zu tun.
Die Klage stütze sich auf das Urheberrecht. Begehrt wird die Unterlassung, Beseitigung des Postings und Schadenersatz, sowie der Ersatz von Prozesskosten. Der Sachverhalt wäre laut Maurers Anwältin Windhager ohnehin schon geklärt. Also wie jetzt? Was ist genau geklärt?Tatsächlich hat Frau Maurer im Zusammenhang mit dem Foto bereits eine Reihe von Klagen angestrengt, gegen Medien, gegen die FPÖ, gegen Privatpersonen, die es verwendet haben, aber da es immer um den Kontext der Verwendung ging, wäre das dann nicht in jedem Fall neu zu beurteilen? Aber vielleicht sind das nur die simplen Gedanken eines Laien. Man harrt gespannt der Dinge, es wird sich sicher alles klären.
Ob die Parteien noch miteinander gesprochen hätten, will die Richterin als nächstes wissen. Nein, nicht wirklich, erfahren wir. Der Wille zur außergerichtlichen Erledigung sei zwar seitens der GGI vorhanden gewesen, sei aber bei der grünen Klubobfrau nicht auf Interesse gestoßen.
Gut, sagt die Frau Rat, es muss Ihnen aber klar sein, dass ein Urteil hier nur 1:0 ausgehen kann respektive 0:1, was anderes sei nicht möglich, halbe-halbe in diesem Fall gänzlich ausgeschlossen und kostenersatzpflichtig ist der Verlierer. Gäbe es mit diesem Wissen möglicherweise doch Gesprächsbereitschaft?
Jetzt kommt zaghaft ein bisschen Action in die Sache, genug, um den jungen Verfahrensgehilfen vorne neben der Frau Rat nicht endgültig einnicken zu lassen. Sie müsse an dieser Stelle mit einem Missverständnis aufräumen, lässt die Maurer-Anwältin mit lauter, fester Stimme aufhorchen. Es gehe hier nicht um einen politischen Konflikt, es gehe rein um die Verwendung des Fotos. Die Kritik, die mit dem geposteten Bild kam, stehe hier nicht zur Debatte, Kritik muss frei sein, da kämpfe sie direkt mit auf der Seite der Beklagten und auch die Frau Maurer tue das. (Diese Aussage ist auch insofern spannend, da just am selben Tag im ORF verkündet wurde, Kogler – vertreten durch die selbe Rechtsanwältin Windhager – habe wegen eines abwertenden Twitterpostings geklagt und einen Vergleich erzielt. Die Klage wäre “ein Beitrag gegen Hass im Netz” lautete die Erklärung. Also doch nichts mit Kritik aushalten und Meinungsfreiheit.)
Aber zurück zum Prozess: Es sei aus Vorverfahren bereits bekannt und geklärt, dass das Stinkefingerfoto ein politisches Statement sei und in den Fällen davor wie auch in diesem in einem falschen Zusammenhang verwendet wurde – das alleine sei der Kern. Deshalb habe man schon eine einstweilige Verfügung erwirkt, die Rechtsfrage sei geklärt, was soll also diesmal anderes herauskommen? Es sei zulässig, sich zu wehren, aber, so die Frau Anwältin weiter, ihre Mandantin sei bereit, auf den Schadenersatz zu verzichten.
Das seien 200 Euro, fällt Dieter Rautnig, der Anwalt von Frau Petrovic ins Wort, und das sei angesichts der Verfahrens- und Anwaltskosten in Höhe mehrerer Tausend Euro jetzt ein bisschen lächerlich. Außerdem sei nach seiner Rechtsauffassung die Verwendung eines veröffentlichten Fotos im Rahmen der Regeln der freien Werknutzung immer zulässig, daher sei ein vollständiges Unterbinden der Nutzung nicht möglich. Zudem gibt das Grüne Dialogbüro selbst an, dass Maurer nur in politisch relevantem Kontext klagen würde, wozu er aus einem Mail des Dialogbüros zitiert. Ein solcher Kontext bestehe hier aber nicht. Das sehe die Frau Maurer aber anders, fährt Frau Windhager dazwischen. Es folgt ein kurzer Schlagabtausch der Anwälte, Paragraphenzahlen werden geschleudert, da steigt der Laie aus. Was er versteht ist eine Frage des Anwalts, die der Beweisaufnahme gilt. Beweisvorlagen, Zeugenaussagen, damit hätten wir Gerichtskiebitze durchaus gerechnet, danach sah es aber nicht aus. „Das ist jetzt aber ein Plädoyer, Herr Anwalt!“, mahnt die Richterin, als dieser fertig ist. Offensichtlich ist ein solches aber gerade nicht angebracht.
Frau Petrovic war bis zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht zu Wort gekommen, sie bringt sich jetzt kurzerhand mal selber ein. „Hätte Sigi mich angerufen, hätten wir das schnell erledigt gehabt!“, beklagt die ehemalige Parteiobfrau der Grünen. Stattdessen beantworte das Grüne Dialogbüro Fragen nach dem Verein mit Verleumdungen, Lügen und Diskreditierungen. Covidleugnerin werde sie von jener Partei genannt, die sie einst mitbegründet habe. Hassbriefe habe sie daraufhin gekriegt, es sei erschütternd, was hier ablaufe. Und dass Sigi sie nicht angerufen habe, sei verletzend. Die Motive für die Klage sehe die GGI daher auch in der Kritik am Agieren der Grünen in der Pandemie. Es sei eine Slapp-Klage (englisch: strategic lawsuit against public participation /englisch slap = Ohrfeige, Schlag ins Gesicht, also eine rechtsmissbräuchliche Form der Klage, die den Zweck hat, Kritiker einzuschüchtern und ihre öffentlich vorgebrachte Kritik zu unterbinden, Anm.). Das Ganze sei eigentlich ein Fall für ein Parteischiedsgericht. Sie als Coronaleugnerin zu bezeichnen, so Petrovic, sei ehrenrührig und wenn sich die Partei dazu nicht äußere, respektive dahingehende Äußerungen unterlasse, sei die GGI wohl an der Reihe, zu klagen. Außerdem sei sie der Überzeugung, dass politische Streitereien nicht vor ein Gericht gehörten. An der Stelle hätte manch einer auf der Besucherbank gerne applaudiert, aber das gehört sich im Gerichtssaal eher nicht.
Anwalt Rautnig nimmt den Faden auf: „Sie wissen das ja nicht, Frau Rat, aber wenn Sie wissen…“ „Nein, nein“, fährt die Angesprochene dazwischen, ihr schwant sichtlich Übles im Sinne von noch mehr Information, „bitte“, fleht sie, „ich mag gar nicht so viel wissen!“ Lustig, zweifellos, alle lachen, doch hätte mehr Wissen nicht geholfen, um ein Urteil zu fällen? Aber was weiß man schon als Laie. Rautnig lässt sich nicht beirren und zitiert aus einem Mail der Grünen, seiner Meinung nach ist es klagswürdig – „also da juckt es schon in der Hand des Juristen“.
Die Zeit läuft, für die Richterin ist die Sache, das hat sie bereits betont, klar. Ein Gespräch zwischen den Streitparteien wäre zielführend, man merkt ihr an, dass sie auch der Meinung ist, dass das Geschehen hier vor kein Gericht gehört und dass sie auch nicht vorhabe, sich hier mit einer Fehlentscheidung beruflich in die Nesseln zu setzen. Sie greift zum Diktiergerät, spricht das Protokoll ein, man hofft, dass das Gerät so schnell aufnehmen kann, wie sie spricht und wundert sich, dass ein Mensch überhaupt so schnell sprechen kann, ihr inhaltlich zu folgen ist kaum möglich, dem unbedarften Zuschauer jedenfalls nicht. „Ende der Verhandlung: 11:13 Uhr“ ist dann aber doch deutlich verständlich.
Sie werde sich noch anschauen, sagt sie freundlich, wie das ausschaut mit den Kosten. Sie ist keine, die gerne unnötige Kosten verursacht, auch wenn sie sie ja nicht zahlen müsse. Das Urteil ergehe dann schriftlich, im Juli wahrscheinlich, vielleicht auch erst im September. Zwei Zettel kommen noch, die müsse man jetzt aber nicht mehr unterschreiben, aber vielleicht kann es die Frau Dr. Petrovic trotzdem machen, lacht die Richterin, sie sammle Autogramme. Die Frau Dr. Windhager dann bitte auch, damit es nicht einseitig ist. Die hat es aber ohnehin schon eilig, packt hastig ihre Akten und verabschiedet sich, gilt es doch gleich im nächsten Verfahren, den Vizekanzler zu verteidigen, Der hat eine Privatperson geklagt, die ihn auf Twitter (X) beleidigt hat. Die Anwältin hat sichtlich gut zu tun mit den Grünen. Am Weg hinaus wünscht sie der Frau Petrovic noch „Alles Gute!“, man kennt sich schließlich aus der Zeit, als sie noch für – und nicht gegen das Grüne Urgestein arbeitete. Eh lieb. Dann ist sie weg.
Zurück bleibt etwas ratlos ob des schnellen Endes die beklagte Partei und das Grüppchen Prozessbeobachter. Das soll alles gewesen sein? Was bedeutet das jetzt? Wer gewinnt, wer verliert? Geht der Verlierer in Berufung? Der GGI-Anwalt sagt, ja, davon könne man ausgehen. Die Frau Rat sagt noch im Gehen, dass sie dringend das persönliche Gespräch zwischen den Parteien empfehle. Konkreter wurde es nicht. Jede seichte Gerichtssendung im Fernsehen ist da ergiebiger.
2 Gedanken zu „Maurer vs. GGI: Geht so Gerichtsverhandlung?“
Sabine! danke! made my day!!!!
Österreich ist ein Labyrinth, indem sich jeder auskennt. Helmut Qualtinger (1928 – 1986)