PM: Akuter Pflegenotstand – das System krankt

Presseaussendung der GGI-Initiative am 20.04.2023

Der Pflegenotstand in Österreich hat sich durch COVID-19 verschärft. Andauernde Personalnot führt zu schlechten Arbeitsbedingungen, die Ausbildung ist zu langwierig und die Bezahlung lockt auch niemand in diesen Beruf. Investitionen wurden in Tests und Impfungen anstatt in die dringend benötigte Verbesserung der Pflegeinfrastruktur gesteckt. Das System steht vor dem Zusammenbruch, die Sicherheit und notwendige Behandlung und Versorgung der Patienten kann teilweise nicht mehr gewährleistet werden.

Ob in der Akut- oder Langzeitpflege, ob häuslich, mobil, ambulant oder stationär: Das Personal für die vielfältigen Aufgaben fehlt. Die Situation ist dramatisch. Immer häufiger müssen aus Personalmangel Betten gesperrt, Pflegebedürftige abgewiesen und ganze Stationen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen geschlossen werden. Vor einem Pflegenotstand in Österreich wird seit Jahrzehnten gewarnt. Jetzt ist er da. Ärzte und Pflegekräfte befürchten einen Zusammenbruch des Systems. “Man kann keine zusätzlichen Arbeitskräfte herzaubern, uns bleibt darum oft nur das Sperren von Betten oder das Einsparen von Leistungen.“, beklagen Verantwortliche. Tagtäglich stehen sie vor der Entscheidung, wie viel Überlastung sie ihrem Personal zumuten können bzw. welche Pflegeleistung sie wegrationalisieren müssen.

Chronisch überlastetes Personal

Viele pflegende Personen haben in den letzten Jahren ihren Beruf gewechselt oder sind in Pension gegangen. „Anspruchsvollere Patienten, wenig Wertschätzung, mangelnde Ressourcen und permanente Überlastung“ seien die Hauptprobleme, so eine Stationsleitung* aus Wien, hinzu komme die teils schlechte Bezahlung. „Eine 30-Stunden Woche bei Vollzeitentlohnung wäre ein wichtiger Schritt und würde den Beruf deutlich attraktiveren. So würden auch mehr Pflegekräfte wieder zurückkommen.

Intern ist vom “Pflexit” die Rede, wenn man vom Wechsel des Pflegepersonals aufgrund von Überlastung spricht. 45 Prozent der Pflegekräfte würden öfter über einen Berufsausstieg nachdenken, erhoben Alexandra und Natali Gfrerer im Frühjahr 2021. Dabei werden bis 2030 zusätzlich 76.000 Pflegekräfte benötigt, wie im Auftrag des Gesundheitsministeriums errechnet wurde [1].

Die Covid-Auflagen trafen pflegende Berufe am härtesten. Maskenpflicht, Schutzkleidung, bürokratischer Kontrollaufwand und ständig wechselnde Bestimmungen erschwerten den Arbeitsalltag. Einen adäquaten Ausgleich gab es dafür nicht, weder finanziell noch strukturell. Das führte zu einem schlechteren Arbeitsklima. Hinzu kam der Impfdruck, der oft auch innerhalb des Pflegepersonals zu einer Spaltung führte.

Problematische Ausbildungsreform

Die Aufwertung der Krankenpflege-Ausbildung durch eine Akademisierung zeigt ebenso ihre Schattenseiten. „Diejenigen, die einen Bachelor in Pflegewissenschaft absolvierten, wollen nicht lange die Arbeit am Bett machen“ heißt es von der Stationsleitung*. Die jetzige Ausbildung wäre zu lang, unnötig kompliziert und führe zu unklaren Hierarchien und Kompetenzen, so ein Altenpfleger*, der erst kürzlich seinen Beruf aufgab.

Vermutlich politisch gewollt, soll die direkte Arbeit mit den Patienten in Zukunft vermehrt von Pflegeassistenten (1-jährige Ausbildung) bzw. Pflegefachassistenten (2-jährige Ausbildung) verrichtet werden, die keine Matura brauchen, die dafür aber auch deutlich schlechter entlohnt sind.

Fehlinvestitionen in Milliardenhöhe

In den letzten Jahren wurden Covid-bedingt 8,7 Milliarden Euro zusätzlich im Gesundheitsbereich investiert, aber das Geld wurde vorwiegend in Tests, Impfungen, Masken und andere COVID-19-bezogene Maßnahmen und Infrastrukturen gesteckt, anstatt in die dringend benötigte Verbesserung der Pflegeinfrastruktur.

Laut Rechnungshofbericht wurden vom Bund rund 5,2 Milliarden Euro nur für Tests ausgegeben [2]. Besser durch die Krise kam man deshalb nicht. Mit dieser Summe hätte man rund 37.000 zusätzliche Pfleger 3 Jahre lang Vollzeit beschäftigen können [3]. Zum Vergleich: In Österreich arbeiten derzeit 100.600 Vollzeitäquivalente im Pflegebereich [4].

Ist-Situation verbessern – JETZT

Die GGI (Grüner Verein für Grundrechte und Informationsfreiheit) fordert daher,

  • die Arbeitsbedingungen des pflegenden Personals zu verbessern, durch deutliche Stundenreduktion bei vollem Gehaltsausgleich und somit den Pflegeberuf zu attraktivieren;
  • die Ausbildung an die tatsächlichen Notwendigkeiten des Berufs anzupassen, um rasch motivierte Arbeitskräfte in den Arbeitsprozess zu integrieren und
  • die Mittel für hochtechnische Medizin (wo es teilweise eine Überversorgung gibt) zu Gunsten der Pflege umzuschichten, sowie die unnötig fortdauernden Corona-Investitionen (Impfwerbung, Tests, Gratisimpfung) einzustellen und die Mittel in das Pflegesystem zu investieren.

Es ist an der Zeit, dass wir uns gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege einsetzen, um mehr Menschen für diesen Beruf zu begeistern und so sicherzustellen, dass jeder Mensch in Österreich die bestmögliche Pflege erhält.


[1] https://www.dossier.at/dossiers/gesundheit/gefaehrliche-pflege/

[2] https://www.rechnungshof.gv.at/rh/home/home_1/home_6/Rechnungshof.Mehr.Wert_Fokus_Covid-19_BF.pdf

[3] Berechnungsbasis: Durchschnittsgehalt (EUR 2.600/mntl.) samt DG-Gesamtkosten = EUR 47.163,-/Jahr)

[4] https://www.sozialministerium.at/Themen/Pflege/Pflegepersonal.html

*Namen der Redaktion bekannt

Ein Gedanke zu „PM: Akuter Pflegenotstand – das System krankt

  1. Mir berichten in persönlichen Gesprächen viele Pflegerinnen und Pfleger ähnliches: Der Dauerstress führt zu mehr Krankenständen, dadurch steigt der Druck immer weiter an. Es ist ein Teufelskreis. Durch die vielen krankheitsbedingten Ausfälle muss man oft einspringen und immer verfügbar sein. Die zweimonatige Planungssicherheit, die der Dienstplan eigentlich bieten soll, existiert in der Praxis nicht mehr. Man ist auch in der Freizeit ständig auf Abruf. Gerade weil es ein Beruf ist, der viel Empathie erfordert, will man seinen Kollegenschaft nicht im Stich lassen und verausgabt sich dadurch selber permanent.

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