Fahren auf Sicht, aber ohne Herz und Hirn. So könnte man das Corona-Management in den Schulen beschreiben. Der “virologische Tunnelblick” nahm absurde Ausprägungen an, die man sich in der Retrospektive mit Vernunft nicht mehr erklären kann. An die Praxis wurde bei der Erlassung der Regelungen wenig gedacht, noch weniger aber an das psychische Wohl der Kinder.
Der erste Lockdown
Begonnen hat alles mit den ersten Fällen in Österreich und dem Gerücht Anfang März, dass die Schulen geschlossen werden. Damals war nach den Gesundheitsdaten eine Grippewelle im Gang, aber bei uns an der Schule waren nicht viele krank. Auch während der ganzen nachfolgenden Zeit waren nie so viele Schüler und Schülerinnen (SuS) krank wie während typischen Grippewellen.
Das Gerücht hat sich weiter verdichtet, so dass die SuS am Freitag vor den Schulschließungen vorsorglich ihre Schulsachen mit nach Hause nehmen sollten. Aus dem Rundfunk haben wir dann erfahren, dass die Schulen tatsächlich geschlossen werden. So haben wir in der Folge meistens per Dienstanweisung erfahren, bevor sie über die Bildungsdirektion an die Schulen gegangen sind.
Es war nicht klar, wie der Unterricht über die zunächst drei Wochen anberaumte Schließung weiter funktionieren sollte. Bei uns in der Schule wurde über die Schulhomepage eine Seite eröffnet, auf die alle Lehrer und Lehrerinnen (LuL) ihre Unterlagen und Anweisungen stellen konnten. Nur wenige LuL hatten schon Erfahrungen mit Teams. Manche LuL haben (unerlaubte) Whatsapp-Gruppen erstellt. Auf der eLearning-Plattform Webuntis konnten auch Aufgaben verteilt werden.
Alle SuS wurden kontaktiert und so gut wie alle auch erreicht. So wurden drei Wochen per Internet, aber meist noch ohne Videocall unterrichtet. Das hat einerseits die SuS, die mehrere Kanäle beachten mussten und sich oft nicht im Klaren über ihre Aufgaben waren, andererseits die LuL, die noch nie so gearbeitet hatten und plötzlich den Unterricht komplett umstellen mussten, überfordert. Auch die Dienstanweisungen zur Menge der Arbeitsaufträge haben sich mehrmals geändert. Für die LuL war das eine große Herausforderung und viel mehr Arbeit als sonst.
Wir konnten allen unserer SuS geeignete Geräte verschaffen, soweit sie selbst keine zur Verfügung hatten. Dennoch war es schwierig für sie, wenn sie in einer kleinen Wohnung mit mehreren anderen gelebt haben. Mitunter mussten sie sich laut und sichtbar schalten, woraufhin man in ihre Wohnung gesehen hat und ihre Familie sehen und hören konnte bzw. musste. In technischer Hinsicht wurde eine schulische Maßnahme getroffen. Kinder der ersten Klasse Sekundarstufe bekommen ein IPad um 100 € statt 400 €. Auf der anderen Seite haben sie dadurch eine einfache Möglichkeit, sich noch mehr im virtuellen Raum aufzuhalten und mehr davon beeinflusst zu werden als davor.
In den darauffolgenden Osterferien hat es dann online eine Schulung zu Teams gegeben, die sehr viele LuL wahrgenommen haben. Viele haben ab dann per Teams mit Videocall unterrichtet. Ich selbst habe jede mögliche Stunde so unterrichtet. Allerdings hat dieses Programm einen hohen Lernaufwand erfordert, das Netzwerk war bisweilen instabil und gewisse Funktionen sind erst im Lauf der Zeit dazugekommen. Der Unterricht verlief langsamer und ineffektiver. Aber es war zumindest eine Möglichkeit, mit seinen SuS Kontakt zu halten und zu schauen, wie es ihnen geht.
Vielen ist es in dieser Zeit sehr schlecht gegangen. Ich erinnere mich an eine zweite Klasse, in der alle in einer massiven Krise waren. Ich hatte ja damals auch noch zwei Schulkinder zu Hause, die heillos überfordert waren. Bei meinem Sohn haben die LuL auf fünf verschiedenen Kanälen gearbeitet. Hat man die deutlich unterschiedlichen Abgabevorstellungen nicht erfüllt, wurde man vehement verwarnt. Meine Tochter war auch mit diesen unterschiedlichen Kanälen überfordert. Ebenso erging es vielen unserer SuS.
Die weiteren Lockdowns
Es hat dann einige Lockdowns mit Schulschließungen gegeben. Es gab genug Kinder und Jugendliche, die wochen- bis monatelang die Wohnung nicht verlassen haben. Mitunter wurde in Parks scharf kontrolliert, auch das Sitzen auf einer Parkbank nicht geduldet. Für viele hat diese Zeit keine Verbesserung gebracht. Sie waren isoliert von Freunden, galten als gefährlich, Pandemietreiber und potentielle Großelternmörder. Die meisten sind „brav“ zu Hause geblieben, haben mehr gegessen, weniger gelernt und auf viele sonst in diesem Alter gewöhnliche Aktivitäten verzichtet.
Man durfte sogar monatelang zu Hause bleiben, wenn man auch nur begründete Angst vor einer Ansteckung hatte. Sowohl LuL als auch SuS haben das in Anspruch genommen, wenn auch nur sehr wenige. Die LuL haben dann online unterrichtet oder den vor- und aufbereiteten Stoff Kollegen gegeben. Die SuS mussten per Internet ihre Unterlagen schicken.
Bei all den Lockdowns gab es immer die Möglichkeit, seine Kinder zur Beaufsichtigung dennoch in die Schule zu schicken. Das haben aber nicht sehr viele wahrgenommen, etwa 10 bis 20 von ca. 640 SuS. Da viele in dieser Zeit leistungsmäßig abgebaut haben, haben wir versucht, sie in diese Betreuung hineinzuholen. Das ist uns aber nur bei wenigen gelungen.
Außer diesen Lockdowns hat es ja unterschiedliche andere Varianten gegeben. Etwa durfte nur die Unterstufe und die achte Klasse vor Ort sein, oder immer nur die halbe Klasse (zwei Tage die eine Hälfte und zwei Tage die andere Hälfte) und am Freitag sollten alle zu Hause bleiben, usw. Als L sollte man aber immer alle SuS unterrichten. So mussten wir einen Teil unterrichten und dem anderen Teil die Aufgaben ins Netz stellen. Diese Zeit war für mich Stress pur.
Ausufernde Maßnahmen
Beim Eingang wurden die SuS mit Sprühnebel desinfiziert. In jeder Klasse stand und steht heute noch ein Desinfektionsmittel. Die SuS mussten voneinander Abstand halten. Als L musste ich bei der Tafel vorne stehen bleiben. Eine Zeit lang durfte ich auch keine Zettel austeilen. Dann gab es die Variante Zettel auf einen Tisch legen und wieder zur Tafel zurückgehen; die SuS mussten sich einzeln die Blätter holen. Auch in der Pause sollten sie am Platz bleiben. Sport und Singen war verboten. Toilette nur in der Stunde erlaubt, damit nicht so viele im Stiegenhaus unterwegs sind. Am Gang waren Richtungsbahnen markiert.
Ein exzessives Testregime wurde aufgezogen. Dadurch gingen idR die ersten 20 Minuten in der ersten Stunde verloren. Nachdem das Alles Gurgelt Programm gestartet war, wurden Kinder ohne Test wieder nach Hause geschickt. Auch als LuL musste ich mich ständig testen lassen und den Test im Sekretariat herzeigen. Wenn ich nicht schnell genug war, habe ich sofort ein Mail mit Aufforderung bekommen. Für mich mit Wohnsitz in Wien, war das noch relativ einfach. Eine Freundin aus dem Waldviertel hatte nur sehr schwer die Möglichkeit zu so einem Test zu kommen.
Diese K1-Geschichte war auch sehr speziell. So waren immer wieder ganze Klassen zu Hause, wenn 3 Kinder positiv waren. Ab zu vielen Fällen hätte auch eine Schulschließung drohen können. Deshalb haben wir uns sehr um die Einhaltung der Regeln bemüht, damit wir offen halten können.
Das Maskentragen wurde nach Einführung strengstens geahndet und es war eine Herausforderung. Am Anfang hat ein Faceshield gereicht, dann eine Stoffmaske, die längste Zeit musste jedoch eine FFP2-Maske getragen werden. Nur zum Essen und Trinken durfte sie abgenommen werden. Es musste allerdings auch alle 20 Minuten gelüftet werden, egal ob Sommer oder Winter. Während dieser Zeit war auch Maskenpause. Deshalb habe ich meine Oberstufenklassen in dieser Zeit Sommer und Winter vor offenem Fenster unterrichtet, auf ihren Wunsch hin – meiner wäre es auch gewesen.
Dann kamen die Impfungen. Wenn man geimpft war, hat man nicht mehr als K1 gegolten. So konnte es passieren, dass geimpfte Kinder einander hemmungslos anstecken konnten. Ungeimpfte SuS mussten als K1 wieder fünf Tage zu Hause bleiben, auch wenn sie negativ getestet waren. Ich musste als Lehrkraft auch mal wegen eines positiven Tests meines Mannes fünf Tage zu Hause bleiben, obwohl ich negativ getestet war. Es wurde auf die SuS von manchen LuL massiver Druck zur Impfung gemacht. Man konnte als LuL über Alles Gurgelt und die Schule genau einsehen, welche SuS geimpft, positiv oder negativ getestet sind. Ein Kollege hat für sich und seine Kinder Widerstand bis in die Direktion geleistet. Er wird seither von seiner Klasse immer am Anfang des Unterrichts mit Applaus begrüßt.
Generell war alles mit der Angst verbunden, man könnte wegen irgendeiner Verfehlung gemaßregelt werden. Der Unterrichtserfolg in dieser Zeit war allgemein nicht so gut. Wir hatten eine Unmenge an Nachprüfungen. Allerdings wurde von der Bildungsdirektion zur Milde aufgerufen und man konnte mit zwei Nicht Genügend aufsteigen. Auch die mündliche Matura wurde zweimal gestrichen und durch die Jahresnote ersetzt. In weiterer Folge wurde die Jahresnote bei der mündlichen Matura miteinberechnet, so dass bei einer Note zwischen 1 und 3 das Durchfallen mündlich nicht mehr möglich ist. Persönlich befürworte ich das durchaus.
Die Folgen
Meiner Beobachtung nach sind die SuS generell angepasster und braver geworden. Sie hinterfragen weniger und funktionieren wie gewünscht. Meines Eindrucks nach ist auch der Unterricht autoritärer geworden. Es gibt eine Meinung oder Sichtweise, die richtig ist. Alles andere ist dumm oder eine Verschwörungstheorie. Andere Argumente und Sichtweisen sind nicht mehr ein Thema. Es wird nur eine Seite dargelegt. Wer Dinge anders sieht schweigt und lächelt dabei trotzdem freundlich. Vielen geht es nach wie vor nicht gut. Diese Zeit hat durchaus ihre Spuren hinterlassen.
Das trifft auch auf meine eigenen Kinder zu. Eines hat während der ganzen Zeit viel telefoniert und sich auch sonst von kaum etwas abhalten lassen. Dafür wurde es mitunter streng gemaßregelt und ich als Mutter sicherheitshalber gleich mit. Mein anderes Kind hat das Bett kaum mehr verlassen, ist psychisch eher abgestürzt, konnte in der neuen Schule kaum Fuß fassen und hat sich noch lange schwer getan. Leistungsmäßig waren beide jahrelang an der Kippe. Viele LuL meiner Kinder waren auch nicht besonders verständnisvoll.
Einen positiven Aspekt brachte diese Zeit allerdings hervor. Man konnte plötzlich, sowohl als LuL als auch als SuS, bei Krankheit zu Hause bleiben. Das war bislang ungewöhnlich. Ich weiß gar nicht, wie viele Monate meines Lebens ich wirklich krank gearbeitet habe. Auch die SuS sollten eigentlich immer da sein. Der extremste Fall war eine Schülerin, die rotglühend bei mir Unterricht gesessen ist. Ich habe sie gefragt, ob sie nicht lieber nach Hause gehen will, weil sie wirklich sehr krank auf mich gewirkt hat. Sie hat gesagt, es würde schon gehen. So ist sie ganz brav bei mir zwei Stunden im Wahlpflichtfach gesessen. Das nächste Mal hat sie berichtet, dass sie über 39° Fieber gehabt hätte. Das macht die Schule etwas menschlicher, wenn man auch krank sein darf.
Siehe auch
PM: #36 Schulschließungen – ein Fehler mit gravierenden Folgen