PM: #4 Die Expertokratie und ihre Auswirkungen auf die Demokratie

Presseaussendung der GGI-Initiative am 16.02.2023

Expertokratie steht, grob gesagt, für “Herrschaft der Expert:innen”. Sie ist insofern das Gegenmodell zum Parlamentarismus, als Entscheidungen, die eigentlich demokratisch legitimierten Institutionen und Organen vorbehalten sind, an Sachverständige delegiert werden.

Mit der Macht der Wissenschaft gegen Desinformationen ankämpfen

Sofern Desinformation bewusst und gezielt eingesetzt wird, handelt es sich um eine Strategie zur Manipulation und/oder Destabilisierung. Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Wie wollen wir damit umgehen? Ist es zielführend und erstrebenswert Diskurse und Debatten durch Faktenchecks und Message Control zu ersetzen oder die Demokratie durch eine Expertokratie? Oder wird damit lediglich der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben?

Besser Expert:innen vertrauen als Politiker:innen?

Das Vertrauen in die Problemlösungskompetenz von Expert:innen und Wissenschafter:innen ist aus nachvollziehbaren Gründen höher als in jene von Politiker:innen, unterliegt aber schlussendlich denselben Gesetzmäßigkeiten. Es beginnt zu bröckeln, sobald es zu Widersprüchen oder Streitereien kommt – und diese sind unter Expert:innen ebenso gängig wie unter Politiker:innen. Nicht nur, weil Wissen immer nur das Resultat eines gegenwärtigen (und somit stets vorläufigen) Forschungsstandes ist (Stand der Wissenschaft). Vor allem auch, weil es unterschiedliche Bereiche, Wissenschaftszweige, Forschungsrichtungen und -methoden gibt. Demzufolge können Expertisen widersprüchlich sein und Lösungsvorschläge zu Problemstellungen zuwiderlaufend ausfallen sowie Gegebenheiten oder Ergebnisse unterschiedlich interpretiert werden.

Problematisch wird es, wenn versucht wird, diese Ergebnis- und Deutungsvielfalt zu unterbinden, zB um die Problemlösungskompetenz unzweifelhaft erscheinen zu lassen, und zu diesem Zweck ausgewählten Wissenschaftsbereichen, Expert:innen oder Institutionen eine alleinige Deutungshoheit zugesprochen wird.

Wissenschafts- und Demokratiefeindlichkeit gehen Hand in Hand

Wissen(schaft) ist beweglich, streitbar, lebendig. Zum Untergang der Wissenschaft kommt es nicht dann, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse angezweifelt werden, sondern wenn man sie ihrer Lebendigkeit beraubt. Ein besonders markanter Ausdruck dafür sind die sogenannten “Faktenchecks”, mit welchen Halb- und Unwahrheiten der Garaus gemacht werden soll. Diese Art mit Wissen und Nichtwissen umzugehen ist jedoch insofern zutiefst wissenschaftsfeindlich, als damit der Anschein erweckt wird, es gäbe endgültige, absolute Wahrheiten, und obendrein eingefordert wird, die von einzelnen Personen herausgearbeiteten Fakten als unbestreitbar anzuerkennen. Damit wird der Weg der Wissenschaft verlassen und Richtung Dogmatismus und Konformismus geebnet. Diese Entwicklung ist mindestens ebenso demokratiefeindlich, wie die altbekannte Strategie, mit bewusst gesetzten Desinformationen zu manipulieren und zu destabilisieren.

Resümee

So vernünftig es ist, dass sich Politiker:innen von sachverständigen Expert:innen beraten lassen, so wichtig ist es, dabei auf Ausgewogenheit und Transparenz zu achten. Dh bei der Zusammensetzung von Berater:innen-Pools und Expert:innen-Gremien müssen etwaige Interessenskonflikte der Mitglieder geprüft und offen gelegt werden. Ebenso müssen Einseitigkeit und Machtkonzentration vermieden werden. Keinesfalls darf es so weit kommen, dass Expert:innen quasi als Schattenregierung fungieren; sie sind nicht demokratisch dazu legitimiert Entscheidungen zu treffen. Die Letztverantwortung liegt bei den Politiker:innen und nicht bei den Expert:innen. Während der Corona-Krise wurde zB von einem wissenschaftlichen Konsens gesprochen, den es so nie gab. Es ist auch nicht die Aufgabe der Wissenschaft, einen herzustellen. Es ist die Aufgabe der politischen Entscheidungsträger:innen auf Basis der breit gefächerten Informationen eine fachlich und sozial kompetente Entscheidung im Sinne und zum Wohle der Bürger:innen zu treffen. Es ist ihre Aufgabe, die Pluralität der Gesellschaft zu berücksichtigen und die unterschiedlichen Interessen und Bedürfnisse der Bürger:innen einzubeziehen und abzuwägen. Es obliegt ihrer Verantwortung Entscheidungen zu treffen und dabei auf bestmögliche Ausgewogenheit zu achten.

Siehe auch

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